Origin of Life



Um die Ursache von Ebbe und Flut zu erforschen hilft es nicht, in den Ozean zu schauen.



Wie und wo entstand das Leben?

Die kontinentale Erdkruste als Modellraum für die Bildung der ersten Zelle

                                                                                                                             Ulrich C. Schreiber; Bonn, Nov. 2022

 

Abstract:

The storage of biochemical information, which is a prerequisite for the development of the first cell, is an unsolved problem affecting all concepts of the origin of life. However, if the protected environment in the continental crust is taken into account, completely new possibilities emerge for identifying processes that may have been crucial for the formation of the first cell. Under this background, we can hypothesize that cellular life began, with a self-sustaining cycle of molecular reaction steps and information storage of peptide sequences in RNA in a crustal depth of approximately 1000 m. This cycle was made possible in an open system bound to gas-permeable tectonic fracture zones with a high proportion of CO2 and N2. The formation of peptides and vesicles in supercritical CO2 and the chemical evolution of peptides have already been proven for the upper continental crust. Other hypothetical considerations include the interactions of vesicles with catalytic peptides and the formation of a proto-tRNA. Individual hydrophobic amino acids accumulate in the vesicle membrane, and their position in the membrane depends on the degree of hydrophobicity. By attaching adenine to the acceptor arm of the proto-tRNA at the tip, it can presumably penetrate the membrane and be linked to an amino acid. The depth of penetration can be controlled by the hydrophobicity of the opposite anti-codon, with adenine always taking the middle position for the hydrothermally formed hydrophobic amino acids.


Die alles umfassende Frage

Wie konnte aus anorganischen Stoffen, aus Gasen, Wasser und Gesteinen eine organische Chemie entstehen, aus der sich ein biologisches Informationssystem entwickelte? Die Speicherung von Information über die Baupläne der Zellen, mit all ihren biochemischen Instrumenten und abgestimmten Reaktionsabläufen stellt die absolute Grundlage des Lebens dar. Und wie schaffte es das Leben, sich gegen die allgegenwärtige Zunahme der Entropie zu behaupten und geordnete Strukturen aufzubauen? Diese Fragen gehören zu den größten der Wissenschaft, wenn man von denen der eigentlichen Entstehung des Weltalls absieht.

 

An der Universität Duisburg-Essen haben wir zusammen mit dem Physikochemiker Prof. Dr. Christian Mayer in den vergangenen Jahren ein Modell entwickelt, das eine naturwissenschaftliche Erklärung für die ersten Schritte auf dem Weg zum Leben bietet [1]. Das Modell wird gestützt durch Experimente mit einer Hochdruckzelle (Abb. 1), die realistische Verhältnisse, wie sie auch heute noch existieren, simuliert. Es konnte bereits ein weitergehendes Verständnis über die Molekülherkunft, ihre Aufkonzentrierung, die Fragen nach Energie und Entropie sowie die der Membranbildung erreicht werden [2].


Abb. 1 links: Hochdruckanlage, rechts: Ausschnitt mit isolierter Druckzelle (50 ml)


Worum geht es?

Die Verhältnisse der jungen Erde und die Bedingungen für die Entstehung des Lebens liegen aufgrund der großen zeitlichen Distanz zu heute weitgehend im Dunkeln. Fehlende Randbedingungen verhindern eine klare Eingrenzung der möglichen Prozesse, sodass in einer Vielzahl von Vorläufermodellen immer nur eng begrenzte Aussagen zu einzelnen Reaktionen getroffen werden konnten. Hierbei wurden als mögliche Environments alle Lokalitäten auf der Erdoberfläche, von der Tiefsee über vereiste Regionen bis zu flachen Tümpeln diskutiert. Aufgrund von Kritiken an den Modellen und mangels plausibler Alternativen gab es in der letzten Zeit Vorschläge, extraterrestrische Regionen wie den Mars oder Meteorite im Weltraum insgesamt mit einzubeziehen.


Abb. 2 Grundgebirgsaufschluss in Nord-Norwegen auf dem Weg nach Kirkenes, nahe der Grenze zu Finnland - Störungen und Risse im Gesteinsverband sind durch granitische Magmen (rosafarbene Gänge) oder hydrothermal gebildete Quarze (weiße Gänge) ausgefüllt.

Die kontinentale Kruste, die vor 4 Mia. Jahren immerhin schon auf 25% der heutigen Größe angewachsen war [3], wurde hingegen erst von der Essener Forschergruppe näher betrachtet [1]. Sie unterscheidet sich von der ozeanischen Kruste durch eine geringere Dichte und Temperatur, größere Mächtigkeit sowie durch eine vielfältigere mineralogische und chemische Zusammensetzung. Innerhalb der kontinentalen Kruste liegen bei genauem Hinsehen fast schon optimale Verhältnisse für eine Startphase vor. Durch die Analyse der dortigen Rahmenbedingungen konnte eine Vielzahl von neuen Ansätzen gefunden werden, die helfen, Probleme zu lösen, die in anderen Modellen als unlösbar gelten. Ausgangspunkt sind tiefreichende tektonische Störungszonen, die Kontakt zum Erdmantel haben. Sie sind vergleichbar mit der San-Andreas Störung oder dem Bayerischen Pfahl im Bayerischen Wald, der mehr als 200 km lang und als Störungszone seit mehr als 250 Millionen Jahre aktiv ist. Von der Tiefe steigen, wie zum Beispiel auch heute noch in der Eifel, Wasser, CO2 und andere Gase auf, die alle erforderlichen Stoffe für die Bildung organisch-chemischer Moleküle enthalten (Abb. 3).

 

Eines der kräftigsten Argumente diese Region hinsichtlich der Entstehung des Lebens genauer zu untersuchen ist das CO2, das in einer Tiefe von ca. 800 bis 1000 Metern einen Phasenwechsel von überkritischem Gas (ükCO2, wie es in der Tiefe vorliegt) zu gasförmigem CO2 (unterkritisch, gCO2, für den oberen Bereich) vollzieht (kritischer Punkt des reinen Gases bei 31 °C und 73,8 bar). Im überkritischen Zustand nimmt ükCO2 Eigenschaften sowohl von einer Flüssigkeit, in der Stoffe gelöst werden, als auch einer Gasphase an. Im ükCO2 können viele chemische Reaktionen ablaufen, die im Wasser nicht möglich sind. Es wirkt wie ein organisches Lösungsmittel und erweitert die Zahl der möglichen chemischen Bildungsreaktionen erheblich. Mit Wasser bildet es darüber hinaus Grenzflächen, an denen spezielle Reaktionen stattfinden können.

 

Durch Druckabfall geht in der Grenzregion von ca. 1000 m bis 800 m Tiefe das ükCO2 in gCO2 über (der Druck variiert hier durch die Anzahl der Gasblasen in der übestehenden Wassersäule). In dessen Folge enstehen Vesikel mit der Ausbildung einer Doppelschicht-Membran, die als Vorläufer der Zelle angesehen werden können (s.u.). Neben CO2 ist Stickstoff (N2) ein weiteres Gas, das in großer Menge aus dem Mantel in die Atmosphäre gefördert wurde und in den Aufstiegskanälen der Störungszonen in Mischungen mit CO2 oder auch in reiner Form aufgetreten sein muss. Die physikalischen Daten (kritischer Punkt des reinen N2 Gases bei −146.9 °C und 33,96 bar) zeigen, dass der überkritische Zustand bereits bei etwa 350 m Tiefe in einer offenen Wassersäule eintritt (wieder in Abhängigkeit von der Anzahl der Gasblasen im überstehenden Wasser). Das bringt für einige chemische Reaktionen Vorteile, da der pH-Wert höher liegt und eher den neutralen Bereich abbildet.

 

Im Labor lassen sich bereits grundlegende Schritte auf dem Weg zu einer Zelle belegen [4]. Hierzu gehören die Bildung von Vesikeln, die als erste zellähnliche Strukturen gelten können, sowie die Verknüpfung von Aminosäuren zu längeren Ketten, die die Basis für die Entstehung komplexer Moleküle wie Proteine und Enzyme sind. Besonders attraktiv für das Modell ist die Tatsache, dass die Bedingungen für die Entstehung des Lebens in hydrothermalen Ganggesteinen aus der Frühzeit der Erde zum Teil dokumentiert wurden. In winzigen Flüssigkeitseinschlüssen, wie sie in archaischen Gangquarzen Australiens aus den Gangquarzen und aus entsprechenden Geröllen in Konglomeraten (Abb. 4) von uns gefunden wurden (Quarze kristallisieren unter hydrothermalen Bedingungen in Störungszonen), verbirgt sich eine Vielzahl organischer Stoffe aus dieser Zeit [5]. Sie wurden vor Milliarden Jahren während der Kristallbildung eingeschlossen und so konserviert. Sie helfen uns, die Bedingungen für die Laborversuche der Wirklichkeit anzunähern. Die aufwendige Analytik gelang durch Zusammenarbeit der Labore aus Heidelberg (AGs Heinz F. Schöler und Frank Keppler mit Ines Mulder, Tobias Sattler und Markus Greule) und Essen (Christian Mayer mit Maria Davila Garvin und AG Oliver J. Schmitz mit Pia Rosendahl, Amela Bronja und Yildiz Grossmann).



Abb. 3 Schematisches Blockprofil der frühen kontinentalen Kruste. Die durchschnittliche Mächtigkeit beträgt heute 30 km. Sie ist hier geringer angenommen. Gleichzeitig muss die Temperatur höher gelegen haben, konnte aber durch artesische Wösser im oberen Bereich gekühlt sein.


Abb. 4  Konglomerat in den Jack Hills, Westaustralien, von dem Gerölle hydrothermaler Quarze analysiert wurden. In dem Gestein sind die bisher bisher ältesten Zirkone gefunden worden (> 4 Mia. J.).


Selbst in fast rezenten Mineraleinschlüssen finden sich in entsprechendem Environment gleiche Molekülreihen (Aldehyde), die anorganisch aus den Gasbestandteilen der Kruste gebildet wurden. So konnten aus den CO2-führenden Spalten des jungen Wehr-Vulkans (westlich vom Lacher- See) aus fast 1000 m Tiefe Kalzite aus einem Bohrkern gewonnen werden (abb. 5), die eine vergleichbare Chemie der archaischen Quarze aus Australien zeigt. Die Analysen wurden maßgeblich in Zusammenarbeit mit Prof. Oliver J. Schmitz in der Fakultät für Chemie der Universität durchgeführt [6].


Abb. 5 Mit Kalziten mineralisierte Kluft im Bohrkern aus dem Wehrer Kessel (ca. 960 m Tiefe), letzte Eruption vor ca. 150.000 Jahren, Rissbildung im Gestein durch Vulkanotektonik, nachträglich mineralisiert mit Calzitmineralen, in denen es Flüssigkeitseinschlüsse mit komplexer organischer Chemie gibt. Foto: Prof. Dr. O.J. Schmitz


Eine besondere Herausforderung stellt aber die Erforschung der Entwicklung des biologischen Informationssystems in der DNA bzw. in dem vermuteten Vorläufer der RNA dar. Die physikochemischen Voraussetzungen in der kontinentalen Kruste scheinen auch für diesen Prozess günstig gewesen zu sein. Erste Ansätze für eine Lösung zeichnen sich bereits ab.

 

Grundlagen zur Entstehung des Lebens:

Da es zu Beginn noch keine molekularen Werkzeuge wie Enzyme gab, müssen die ersten Schritte zum Leben auf rein physikalische bzw. physikochemische Weise abgelaufen sein. So lässt sich die Bildung einiger der Komponenten, die für die Zelle benötigt werden, durch Prozesse erklären, die heute in der technischen Chemie täglich eingesetzt werden. Hierzu gehören Verfahren der Fischer/Tropsch-Synthese, durch die langkettige Kohlenwasserstoffe gewonnen werden oder auch die Haber/Bosch-Synthese, durch die Ammoniak (NH3) aus N2 und H2 produziert wird. Die Druck/Temperatur-Bedingungen, die hierfür notwendig sind, liegen in der Kruste genau so vor, wie die erforderlichen Rohstoffe. Weiterhin ist zu überlegen, welche Bedingungen und Prozesse insgesamt vorhanden waren bzw. abgelaufen sind, die in einem Entstehungsumfeld gestaltend auf die Entwicklung des Lebens eingewirkt haben.

 

Die Entropiezunahme als Voraussetzung für die Entstehung des Lebens

- Durch die Verknüpfung von Molekülen, z.B. von zwei Aminosäuren, entsteht mehr Ordnung, als vorher in dem betrachteten System vorhanden war. Die chemische Reaktion (z.B. eine Kondensationsreaktion) erfolgt nur, wenn gleichzeitig ein höheres Maß an Unordnung gebildet wird, also die Entropie insgesamt zunimmt. Es könnte z.B. im Reagenzglas durch eine Raktion Wärme entstehen, die nach außen abgegeben wird, wodurch die Entropie erhöht wird. Die Entropiezunahme (häufig als Zunahme der Unordnung beschrieben) muss folglich im gesamten Verlauf der Lebensentwicklung während der Reaktionen gewährleistet gewesen sein.

Der Übergang von überkritischem CO2 (ükCO2) zu Gas (gCO2) in ca. 800 - 1000 m Tiefe ist mit einer starken Zunahme der Entropie verbunden.

 

- Für den Ablauf chemischer Reaktionen ist im Normalfall Energie notwendig, die in erforderlichem Maße zur Verfügung stehen musste.

Zur Verfügung standen in der Kruste Wärmeenergie, potentielle Energie (aus dem Aufstieg von Gasen) und chemische Energie (zum Teil auch elektrische Energie durch piezoelektrischen Spannungsaufbau infolge seismischer Aktivität). Zusätzlich gab es einen nicht zu vernachlässigenden Strahlungsanteil infolge Zerfall radioaktiver Elemente in den Mineralen.

 

- Das Umgebungsmilieu (Environment) muss über sehr lange Zeiträume stabil und vor UV-Strahlung, Sonnenwind, Verwitterung, Meteoriteneinschlägen oder auch vor Erosion geschützt gewesen sein. Notwendig waren Hunderte Millionen Jahre.

Störungszonen wie z.B. die San-Andreas Störung oder der Bayerische Pfahl erreichen diese Lebensdauer.

 

- Das System musste offen im Ungleichgewicht sein mit der Möglichkeit der Zu- und Abfuhr von Stoffen. Einerseits wurden Moleküle verbraucht, andererseits durften „unbrauchbare“ Moleküle oder Reaktionsprodukte das System nicht verstopfen (Problem der Teerbildung) [7].

Durch die aufsteigenden Gase in den Störungen wurden Wasser und Moleküle in Richtung Oberfläche transportiert.

 

- Es müssen zyklische Wechsel der physikalischen Bedingungen geherrscht haben. Zyklische Bedingungen führen eher zu einer chemischen Evolution als sporadische Ereignisse.

Durch Ausbrüche von Kaltwasser-Geysiren oder durch die damals noch wesentlich stärkeren Erdgezeiten (der Mond war deutlich näher an der Erde) gab es zyklische Druckschwankungen, die im Übergangsbereich von ükCO2 zu gCO2 zu einem ständigen Wechsel der Bedingungen geführt haben.

 

- Die Rohstoffe zur Bildung von organischen Molekülen sowie notwendige Elemente (Metalle, Halbmetalle) mussten in großer Menge vorgelegen haben.

Durch die Zufuhr von Gasen (CO2, N2, H2, H2S etc.) aus dem Mantel und der Alteration der Gesteine mit Freisetzung von Phosphat und Metallen/Halbmetallen gab es unbegrenzte Ressourcen.

 

- Die Bildung der verschiedenen organischen Moleküle erforderte unterschiedliche Druck- und Temperatur- (pT-) Bedingungen. Ein Transportsystem zum Zusammenführen der unterschiedlichen Molekülbausteine, die an verschieden Orten gebildet wurden, war eine der wichtigsten Voraussetzungen.

Durch die aufsteigenden Gase in den Störungen wurden Wasser und in unterschiedlichen Tiefen gebildete Moleküle in Richtung Oberfläche transportiert.

 

- Kondensationsreaktionen von z.B. Aminosäuren zu einem Peptid können nur stattfinden, wenn das bei der Reaktion entstehende Wassermolekül entfernt wird. Das ist im Wasser (z.B. der Zelle) nur mit Enzymen möglich, sodass in der Frühphase ein unpolares Lösungsmittel am besten hierfür geeignet ist. Allerdings gab es noch keine Erdölchemie, die diese bereitstellen konnte.

In gasreichen Störungszonen liegt z.B. ükCO2 oder überkritisches N2 als unpolares Lösungsmittel vor.

 

- Für die Bildung einer RNA (tRNA) als erste Informationsträger waren vermutlich anorganische Katalysatoren erforderlich. Tonminerale sind nach Laboruntersuchungen bereits als mögliche Katalysatoren diskutiert worden [8].

Tonminerale bilden sich nicht nur durch Verwitterung der Gesteine an der Erdoberfläche, sondern auch durch Alteration der gesteinsbildenden Minerale in der Erdkruste durch saure Wässer in den Störungen.

 

- Ein grundsätzliches Problem auf der jungen Erde war die Bildung einer großen Anzahl verschiedener organischer Moleküle. So auch in den Störungzonen der kontinentalen Erdkruste. Es herrschte quasi ein Molekül-Chaos, aus dem spezielle Moleküle noch nicht von „biochemischen Werkzeugen“ herausgefiltert werden konnten. Für eine Vorsortierung standen nur physikalische bzw. physikochemische Prozesse zur Verfügung:

- Strömungsprozesse in den wassergefüllten Störungen der kontinentalen Kruste durch aufsteigende ükGase (bzw. Gase in den obersten 800 Metern).

- Oberflächeneffekte, wodurch es während des Aufstiegs zur Anlagerung spezieller Moleküle an wechselnden Mineraloberflächen (gesteinsbildende Minerale, Gangerze, wie z.B. Blei-Zink- oder Eisenschwefel-Erze, Quarz, Tonminerale) kommen konnte.

- Flotation durch ükCO2/ükN2-Bläschen, die einerseits unpolare Moleküle direkt aufnahmen oder an der Bläschen-Oberfläche bestimmte Amphiphile anlagerten, die als Sammlermoleküle für z.B. bestimmte RNA-Moleküle fungieren konnten.

 

- In der Grenzzone zwischen 1000 m bis ca. 800 m findet ein Phasenwechsel der Gase vom überkritischen zum unterkritischen (gasförmigen) Zustand statt (bei reinen N2-Systemen entsprechend in geringerer Tiefe). Durch Druckschwankungen z.B. bei Kaltwassergeysirausbrüchen (CO2/N2 gesteuerte Ausbrüche) variiert die Tiefe des Übergangs zur unterkritischen Gasphase über mehrere 10er Meter. Die Folge ist ein Ausfallen der organischen Moleküle, weil das sich bildende unterkritische Gas keine Moleküle mehr gelöst halten kann. Hierdurch entwickelt sich ein Anreicherungshorizont, in dem die Konzentrationen der Stoffe so hoch werden, dass chemische Reaktionen begünstigt sind.

 

Abb. 6  Beispiel für die Verhältnisse in einer Störung. Die Pfeile zeigen auf Fallen für aufsteigende Gase, die dann gefüllt werden, wenn die Spalte in der Kruste mit Wasser gefüllt ist (links, Foto: Dr. Frederik Kirst). In größeren Tiefen unterhalb von ca. 800 m sammelt sich ükCO2 unter den Vorsprüngen. Hier können im überkritischen Gas unpolare Moleküle angereichert werden und miteinander reagieren (Skizze rechts).


RNA

Die Bildung einer RNA (als Vorläufer der DNA) gehört zu den wichtigsten Voraussetzungen für die Entwicklung eines organisch-chemischen Informationssystems. Die Bedingungen in den Störungszonen mit der Bereitstellung von organischen Basen, dem Zucker Ribose und Phosphat aus der Auflösung der Apatite waren hierfür günstig [9]. Allerdings wurden in diesem Umfeld nicht nur die Moleküle gebildet, die in der heutigen RNA vorliegen. Es gab sicherlich eine Vielzahl von verschiedenen Zuckern, die auch jeweils noch in den chiralen D- und L-Versionen auftraten. Die Alteration der Krustengesteine führte an verschiedenen Abschnitten der Störungsoberflächen zur Auskleidung mit Tonmineralen. Sie fungierten vermutlich als Katalysatoren, die die Verknüpfung von Nukleotiden zu längeren RNAs steuerten [8]. Diese RNAs konnten aufgrund unterschiedlicher Zucker oder auch Basen sehr verschieden sein. Es müssen daher Prozesse identifiziert werden, die ohne Hilfe heutiger biochemischer Katalysatoren zu dem RNA-Typ geführt haben, der das weitere Geschehen auf dem Weg zur ersten Zelle bestimmt hat.

 

Bei der Bildung von längeren RNA-Strängen kommt es schnell zur Verknäulung, da sich komplementäre Abschnitte zusammenlagern und teilweise Doppelstrangabschnitte bilden [10]. Eine Kopie, die durch Anlagerung freier Nukleotide erfolgen könnte, wird hierdurch unterbunden, ein Kernproblem der RNA-Welt. Durch Erhöhung der Temperatur werden Doppelstränge aber geschmolzen und stehen anschließend bei Abkühlung für eine Dopplung zur Verfügung. Die Verhältnisse in den Störungen bieten für den Vorgang des RNA-Kopierens optimale Bedingungen. Die Temperatur in 1000 m Tiefe könnte durch Zutritt von Oberflächenwasser bei etwas über 50 °C gelegen haben. Durch Übergang des ükCO2 zur Gasphase in Folge eines Geysirausbruchs bringt eine Abkühlung durch Ausdehnung des Gases mit sich (Joule-Thompson Effekt).


Der umgekehrte Vorgang komprimiert das Gas, was mit einer Temperaturerhöhung verbunden ist. Hierbei können Werte deutlich über 60 °C erreicht werden, die notwendig sind, um RNA-Doppelstränge zu trennen. Zusätzliche Temperaturveränderungen ergeben sich durch aus der Tiefe nachströmendes heißeres Wasser und anschließend rücklaufendes kühleres nach Ende des Ausbruchs. Mit der Abkühlung beginnt die Phase der Anlagerung komplementärer Nukleotide. Sind genügend Bausteine verfügbar, können bei jedem Ausbruchszyklus RNA-Stränge kopiert werden. Gleiche Prozesse können mit überkritischem Stickstoff (ükN2) in geringeren Tiefen und entsprechend kühleren Hintergrundtemperaturen ablaufen.

 

Wenn die Verhältnisse in einem Environment für eine RNA-Bildung geeignet sind, ist nicht automatisch die Grundlage für die Entwicklung eines Informationssystems gegeben. RNA-Stränge, die sich bilden, besitzen unterschiedliche Längen und werden schnell durch Hydrolyse wieder in kurze Abschnitte aufgeteilt. Die Hydrolyse eines RNA-Strangs ist im sauren Milieu bei pH-Werten zwischen 3 und 4, wie sie auch in den Fluiden der Störungen in der Tiefe vorliegen, am geringsten [11], das heißt, hier liegt der größte Stabilitätsbereich vor. Es bleibt das Molekül-Chaos, das eine Sortierung erfordert.


Ab einer bestimmten Länge ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass in dem ersten und letzten Drittel des RNA-Strangs Abschnitte mit jeweils komplementären Basen vorliegen. Das bedeutet, dass bei einer Krümmung die Basen beider Drittel gegenüberliegen und wie bei einem DNA-Doppelstrang über eine Basenpaarung eine Verbindung eingehen (Adenin A verbindet sich mit Uracil U, Cytosin C mit Guanin G). Das mittlere Drittel bildet hierbei eine Schleife, in dessen Umbiegung bei einem bestimmten Durchmesser des Kreisausschnittes drei der Basen so nach außen zeigen (durch Drehung innerhalb des Strangs), dass sich ebenfalls komplementäre Basen anlagern können. Damit liegt ein Prototyp einer tRNA (Transfer-RNA) vor, die in heutigen Zellen, allerdings wesentlich komplexer, den Mittler zwischen einer spezifischen Aminosäure und eines Informationscodes bildet. In der Abb. 7 ist ein RNA-Strang mit minimaler Länge dargestellt, der lediglich ein verknüpftes Basenpaar besitzt. Dahinter steckt die Überlegung, dass kurze RNA-Stränge häufiger gebildet werden können und stabiler sind, als lange und dass ein einzelnes Basenpaar leichter für eine Kopie des Stranges getrennt werden kann, als eine größere Zahl. Hinzu kommt eine Bedeutung, die sich hinsichtlich des entropischen Effekts auswirkt (s.u.).

Abb. 7 Mögliche Proto-tRNA: Kürzest möglicher RNA Strang mit Bildung lediglich eines Basenpaares und einem verlängerten Einzelstrang, dessen drei Basen immer C, C, A (Cytosin, Cytosin, Adenin) sind. In der Schleife sind drei Basen nach außen positioniert, die das Anticodon bilden (hier AAA; nach außen gerichtete Position aufgrund von Platzproblemen bei Verwendung des Zuckers Ribose).

Hierbei taucht sofort die Frage auf, warum die Ribose als Zucker mit 5 Kohlenstoffatomen (Pentose) den RNA-Strang aufbaut und nicht eine der anderen Pentosen oder gar der Hexosen, die Moleküle mit 6 C-Atomen bilden. Im Labor lassen sich derartige alternativen Nukleotidketten herstellen. Die verschiedenen Zucker müssen letztlich in den betrachteten Environments in einer Vielzahl vorgelegen haben, da ihre Bildung nicht selektiv auf nur einen Typ beschränkt ist. Und davon ausgehend gab es vermutlich eine Reihe anderer RNA-Strang-Typen, die andere Zucker eingebaut hatten, die durch die chirale Ribose zusätzlich zwei unterschiedliche Händigkeiten besaßen.


Welche Selektionsprozesse können jetzt zur Wahl der Ribose geführt haben? Sicherlich sind wieder Stabilitätskriterien oder allein das Mengenangebot in Betracht zu ziehen. Aber eine andere Ursache könnte die entscheidende sein. Bei der Umbiegung eines RNA-Strangs müssten alle Basen nach innen gerichtet sein. Dies wird bei einem sehr langen Strang, der in der Umbiegung einen großen Schleifendurchmesser zulässt, auch funktionieren. Längere RNA-Stränge entstehen aber nur sehr selten und werden schnell wieder durch Hydrolyse aufgespalten. Falls doch, bildet sich aber kein Prototyp einer tRNA aus, der für die Informationsspeicherung geeignet ist. Es fehlt die nach außen gerichtete Informationseinheit, das heutige Anti-Codon. Bei kürzeren RNAs, die einen minimal möglichen Schleifendurchmesser bilden könnten, bekommen die innenliegenden Basen ein Raumproblem. Das Problem lässt sich durch Drehung des Strangs in einem Teilabschnitt der Umbiegung lösen, wodurch die Basen nach außen gerichtet werden. Jetzt muss verglichen werden, ob die alternativen Zucker, sowohl die anderen Pentosen als auch Hexosen und andere, eine Konfiguration der RNA-Schleife ergeben können, die einen nach außen gerichteten „ablesbaren“ Dreierblock beinhaltet. Eine Anordnung der Basen, die eine Ablesbarkeit beeinträchtigt oder unmöglich macht, setzt sich nicht durch (weil in der weiteren Entwicklung keine Information über enzymatisch unterstützende Katalysatoren erhalten bleibt). Wenn sich diese Überlegung bestätigt, wäre die Ribose aus rein sterischen Gründen (strukturell am besten geeignet, um ein Anti-Codon zu bilden) aus der Vielzahl der Zucker in Kombination mit den Basen und dem Phosphat selektiert worden.

 

Auffällig ist, dass alle tRNAs, die heute spezifisch mit einer Aminosäure beladen werden, immer den gleichen Kopplungsstrang der Basenreihung CCA besitzen (Abb. 7). Dieser Bindungsstrang muss sich in der frühesten Phase als so erfolgreich herausgestellt haben, dass er bis heute ausschließlich genutzt wird. Die Synthetasen, die heutigen komplexen Enzyme, die die spezifische Beladung auf den spezifisch zugehörigen tRNAs vornehmen, erkennen die inzwischen komplexer gebauten tRNAs anhand ihrer zusätzlicher Schleifen und den darin enthaltenen speziellen Basen, sodas die sehr wichtige genaue Zuordnung der zu verknüpfenden Aminosäure gewährleistet ist. Es bleibt die Frage, warum die Version mit dem Akzeptorarm CCA als vermutlich alleiniger Vertreter aus der Gruppe der RNAs mit mittlerer Länge aus dem Selektionsprozess hervorging.


Die Ursache kann in einem Vorteil gelegen haben, der durch eine spezielle Eigenschaft der Proto-tRNA bedingt war. Prinzipiell hätte jede Aminosäure an jeder Proto-tRNA anbinden können. Wo lag die Möglichkeit einer spezifischen Zuordnung, die für den Aufbau eines Informationsspeichers notwendig war? Die heutigen Verhältnisse lassen zumindest eine grobe Unterscheidung treffen. Es gibt zwei Klassen von Synthetasen, die die spezifische Beladung der tRNAs vornehmen. Die Klasse-I-Synthetase katalysiert hydrophobe Aminosäuren am 2´- OH Ende der endständigen Ribose (Abb. 8) und die Klasse-II-Synthetase katalysiert die hydrophilen Aminosäuren am 3´- OH Ende [13].


Abb. 8 Amphiphile Lipide sind am Akzeptorarm einer Proto-tRNA verknüpft (s. Abb. 8). Alternativ können hydrophobe Aminosäuren an 2'-OH der Ribose und  hydrophile Aminosäuren an 3‘-OH binden. Die blaue Linie als Trennfläche zwischen einer hydrophoben (oben) und einer hydrophilen Umgebung (Bereich im Maßstab verzerrt) wäre eine mögliche Trennlinie für die beiden Verknüpfungsstellen.


Aber vorab ist es notwendig, die Anreicherungsmöglichkeit eines speziellen RNA-Typs zu identifizieren, der die Eigenschaft einer Proto-tRNA besaß. Möglich ist, dass Flotationsprozesse mit Hilfe von Sammlermolekülen und aufsteigenden überkritischen Gasblasen geeignete RNA-Moleküle in die Fällungszone transportiert haben. Hierzu sind Lipide (Amphiphile) in der Lage, die aus einem hydrophilen Kopf und einem hydrophoben Schwanzende bestehen (Abb. 8 u. 9). Der Kopf ist in der Lage, sich mit einem RNA-Molekül (im Fall einer Proto-tRNA mit dem CCA-Ende ober weiteren Anknüpfungsstellen) zu verbinden (s. auch [14]). Während der hydrophobe Teil in eine überkritische Gasblase eingeschlossen werden kann, verbleibt der hydrophile Rest mit der RNA im Wasser. Die Gasblasen steigen auf und transportieren die Moleküle bis zu Gastaschen, in denen sie sich sammeln. Von dort oder auf direktem Weg gelangen sie bis zur Grenzzone, in der der überkritische Zustand in den unterkritischen wechselt. Während weitere RNA-Varianten ähnlich transportiert werden können, gehen hydrophobe organische Moleküle direkt in die Blasen über und steigen mit auf. In ca. 1000 Meter Tiefe werden mit dem Phasenwechsel durch Druckabnahme während eines Geysirausbruchs alle transportierten Moleküle im Wasser und an der Grenzfläche zum Gas angereichert. 

 


Abb. 9 Prinzipskizze eines Flotationsprozesses: Amphiphile Lipide sind am Akzeptorarm einer Proto-tRNA verknüpft. Der hydrophobe Teil ist in Blasen aus überkritischem CO2/N2 integriert, während der hydrophile Kopf mit der RNA im Wasser verbleibt. Die Blasen steigen auf und sammeln sich im Dachbereich einer Kavität. Ein Teil der Moleküle gelangt komplett in das ükCO2/N2 (sc = super critical, überkritisch) Reservoir, andere positionieren sich genau an der Wasseroberfläche. Dargestellt ist nur die postulierte Proto-tRNA als Schlüsselmolekül. Andere RNA-Varianten werden auf ähnliche Weise verknüpft und transportiert. Hydrophobe organische Moleküle können direkt in die Blasen übergehen und mit aufsteigen.

Die Vesikelbildung

 

Mayer et al. [2, 12] konnten in Hochdruckexperimenten die Bildung von Vesikeln und eine chemische Evolution von Peptiden nachweisen. Hierbei wurden die Verhältnisse der oberen Kruste mit zahlreichen Kavitäten und einem Kaltwasser-Geysirsystem simuliert. Der Fokus der Experimente lag auf der Tiefe von ca. 1000 m, dem Übergangsbereich von ükCO2 zu Gas. Auf den Störungsflächen treten entlang von Abrisskanten eine Vielzahl von Kavitäten auf, in denen sich das Gas staut. Hierdurch entstehen Reaktionskammern mit zwei Phasen, im unteren Teil Wasser und im oberen ükCO2 oder gCO2. Liegt ükCO2 vor, führt die Druckerniedrigung während eines Geysirausbruchs in der Grenzregion zum Phasenwechsel. Es entsteht CO2 Gas, in dem gelöstes Wasser zu einem Nebel kondensiert (entspricht salzfreiem Kondenswasser). Gleiche Prozesse konnten mit Stickstoff als Gas unter milderen Bedingungen simuliert werden.


Dies ist, wie die Experimente gezeigt haben, der Startpunkt der Vesikelbildung, da sich Lipide aus dem ükCO2, die nicht im Gas verbleiben können, zu einer ersten Hülle auf der Außenfläche der Tröpfchen sammeln. Das Absinken auf die ebenfalls mit Lipiden besetzte Grenzfläche zum Wasser führt zu einer weiteren Umhüllung, sodass anschließend Vesikel mit einer Doppelmembran im Wasser vorliegen. Hinzugegebene Aminosäuren haben sich während der Druckabnahme zu Peptiden verknüpft und wechselwirkten mit der Membran der gebildeten Vesikel.


Mit einer erneuten Druckerhöhung durch zurück fließendes Wasser nach Ende des Ausbruchs werden die meisten Vesikel wieder zerstört.  Am Ende konnten Mayer et al. zeigen, dass eine chemische Evolution durch zyklische Wiederholung der Druckschwankungen möglich ist, die zur gegenseitigen Stabilisierung von Peptiden und Vesikeln führt.


Die unendlich erscheinende Vielzahl der Kombinationsmöglichkeiten bei der Peptidbildung lässt aber keine Wiederholung gleicher Sequenzen in den Aminosäureketten erwarten. Bei einer Kettenlänge von 8 Aminosäuren aus den 12, die hydrothermal gebildet werden können, ergibt sich eine Variation von ca. 430 Mio. Möglichkeiten. Was fehlt, ist eine Speicherung der Information über die Abfolge, so wie sie in der später gebildeten RNA bzw. DNA zu finden ist.

Die Bedeutung der Vesikelbildung zeigt sich aber in gleich mehreren Eigenschaften, die in der Entwicklung des Lebens eine bedeutende Rolle gespielt haben.

- Einerseits wird deutlich, wie leicht Vesikel als Vorläufer der Zellkompartimente gebildet werden können.

- Andererseits tritt eine Wechselwirkung zwischen Membran und Molekülen ein, die zu speziellen Reaktionen und einer chemischen Evolution führen können.

- Weiterhin ist die Art der Vesikelbildung geeignet, große Molekülkomplexe, die im freien Umfeld der Kavitäten gebildet werden, während der Tröpfchenbildung aufzunehmen.



Abb. 10 Vesikelbildung nach Druckabbau infolge eines Kaltwasser-Geysirausbruchs. a) Nebeltröpfchen werden mit einer Hülle aus Lipiden ummantelt. b) Im Kontakt mit Lipiden auf der Wasseroberfläche kommt es zu einer zweiten Umhüllung (auf Grundlage von Mayer et al. 2015 [2]). Die Vesikel bestehen aus destilliertem Wasser mit einem Anteil organischer Moleküle. Der Unterschied der Salzkonzentrationen innen und außen führt zu einer Instabilität, die zu einer schnellen Zerstörung während des nächsten Geysirausbruchs führt. Der gleiche Vesikelbildungsprozess verläuft mit Wasserspritzern, die bei einem turbulenten Geysirausbruch über die Wasseroberfläche geschleudert werden. Die sich bildenden Vesikel sind deutlich größer, besitzen eine wesentlich höhere Konzentration organischer Moleküle, aber die gleichen Salzgehalte, wie das Umgebungswasser. Hierdurch sind sie stabiler als die Vesikel aus den Nebeltröpfchen und haben höhere Konzentrationen organischer Moleküle für Reaktionen. Dargestellt sind Aminosäuren und eine spezielle RNA (s.o.), die mit der Membran wechselwirken.

Das hypothetische Modell zur Speicherung von Information

 

Für die Speicherung der Information über die Aminosäuresequenzen in den Peptiden ist ein vermittelndes Molekül erforderlich gewesen, das einer einfachen Version einer tRNA entsprochen haben muss (s.o). Diese Proto-tRNA wird für die Entwicklung der ersten Zelle vorausgesetzt. Die Nutzung der DNA als Träger der Erbinformation wird für in einen späteren Zeitpunkt angenommen (ihre Stabilität unter den Bedingungen der hydrothermalen Störungszonen wäre nicht gegeben).

 

Der Beginn der Informationsspeicherung

Die Bildung von Vesikeln unter Druck- und Temperaturbedingungen, wie sie in ca. 1000 m Tiefe einer kontinentalen Kruste der jungen Erde entsprechen (s.o.), ist im Labor mehrfach nachgewiesen worden [2, 4]. Bis zu 12 Aminosäuren können unter hydrothermalen Bedingungen in der Kruste entstehen [15, 16], wobei die Häufigkeiten in Abhängigkeit der Bildungsbedingungen unterschiedlich sind. Die (hydrothermal bildbaren) hydrophoben Aminosäuren Isoleucin, Valin, Leucin und Phenylalanin können bei der Vesikelbildung in die Membran aufgenommen werden, während die hydrophilen Aminosäuren Threonin, Serin, Prolin, Glutaminsäure, Asparaginsäure und Lysin im Wasser der Tröpfchen verbleiben. Die Vesikel bestehen aus destilliertem Wasser mit einem Anteil organischer Moleküle. Der Unterschied der Salzkonzentrationen innen und außen führt zu einer Instabilität, die zu einer schnellen Zerstörung während des nächsten Geysirausbruchs führt. Der gleiche Vesikelbildungsprozess verläuft mit Wasserspritzern, die bei einem turbulenten Geysirausbruch in der Tiefe über die Wasseroberfläche der Kavität geschleudert werden. Die sich bildenden Vesikel sind deutlich größer, besitzen eine wesentlich höhere Konzentration organischer Moleküle, aber die gleichen Salzgehalte, wie das Umgebungswasser. Hierdurch sind sie stabiler als die Vesikel aus den Nebeltröpfchen und haben höhere Konzentrationen organischer Moleküle für Reaktionen.


An der oben skizzierten einfachen Proto-tRNA (Abb. 8) ist mit der Basenfolge CCA die Base Adenin genau an der Spitze des hier als ungepaart vorliegenden Strangs positioniert. Der Akzeptorarm kann durch die Hydrophobizität des Adenins in die Membran eindringen und gelangt so in Kontakt zu den hydrophoben Aminosäuren (Abb. 11). Eine Verknüpfung an der 2‘-OH Position der endständigen Ribose im Rahmen des Geysirzyklus ist jetzt möglich.


Abb. 11  Unterschiedliche Eindringtiefen des Akzeptorarms in die Membran in Abhängigkeit der Hydrophobizität des Anticodons

Die Frage ist, wie eine spezifische Verbindung der entsprechenden Aminosäure in Bezug zum Basentriplett des Anti-Codons erreicht werden konnte. Am Basentriplett, das letztlich den Code vorgibt, liegen immer drei von vier möglichen Basen vor, die sich hinsichtlich ihrer Hydrophobizität unterscheiden [10]. Je nach Art der beteiligten Basen und ihren Positionen auf dem Triplett ergeben sich unterschiedliche Werte für die entropische Kraft, die im Zuge des hydrophoben Effekts zu einem unterschiedlich tiefen Eindringen des Akzeptorarms in die Membran beiträgt (https://de.wikipedia.org/wiki/Hydrophobie).


Das bedeutet, je stärker die Hydrophobizität im Bereich des Anti-Codons ist, desto weiter ragt die Spitze der Proto-tRNA in die Membran. Dort kann sie mit einer hydrophoben Aminosäure verknüpft werden. Die Platznahme von kurzen hydrophen Peptiden in der Membran während des Vesikelbildungsprozesses ist vermutlich günstiger, als die von einzelnen hydrophoben Aminosäuren. Die endständige Aminosäure der Peptide kann bei gleichzeitiger Abspaltung an die Spitze der Proto-tRNA gebunden werden. Durch die Abtrennung der Aminosäure von der Kette wird die Entropie erhöht und somit die Reaktion begünstigt. Die Verknüpfung bindet die Aminosäure an der 2‘-OH Position. Mit entsprechenden Kombinationen der Basen am Anti-Codon werden unterschiedliche, sehr fein abgestimmte Positionen des CCA-Arms in der Membran erreicht, wodurch unterschiedlich hydrophobe Aminosäuren mit unterschiedlichen Positionen in der Membran (während eines Druckabfalls mit Phasenwechsels des Gases) verknüpft werden. Die Aufenthaltswahrscheinlichkeit  für die am stärksten hydrohopen Aminosäuren ist in der innersten Zone am größten. Liegen hydrophilere Basen am Anti-Codon vor, reicht der CCA Arm nicht so weit in die Membran, sodass die hydrophilen Aminosäuren an der 3‘-OH Position verknüpft werden. In einer mittleren Position können keine Aminosäuren angebunden werden. Die entsprechende Kombination entspricht den heutigen Stop Positionen beim Ablesevorgang der mRNA im Ribosom.


Mit diesen Zusammenhängen lässt sich ein Prozess ableiten, der durch eine enge Besetzung von verschiedenen Proto-tRNAs an einer Innenseite einer Vesikelmembran eine Speicherung einer Aminosäuresequenz in einer RNA zulässt. Hierbei begünstigt die Krümmung der Membran eng benachbarte Positionen der Anticodons, sodass eine komplementäre Anlagerung von Codons zur Bildung einer RNA (Proto-mRNA) führen kann. Ein Problem bereitet hier allerdings die Händigkeit der Aminosäuren bzw. der Ribose, für die eine Selektion für ein homochirales Peptid fehlt. Bei längeren Ketten ergeben sich unüberschaubar viele Kombinationsmöglichkeiten, die entsprechende Zeiträume zum Ausprobieren erfordert. Ein effektiverer Vorgang wird dann erzielt, wenn alternativ die Proto-tRNA an der einzigen Doppelbindung getrennt wird. Sie liegt hiernach als Einzelstrang vor und kann die Funktion einer Proto-mRNA übernehmen (s.u.). 

 


Abb. 12 Eintauchen der Proto-tRNA in die Vesikelmembran mit dem Akzeptorarm CCA an der Spitze in Abhängigkeit von der Hydrophobizität, die vom Anti-Codon vorgegeben wird. Nach Verknüpfung der Aminosäuren mit den Proto-tRNAs (hydrophobe AS gelb und rot sind an kurze Peptide in der Membran gebunden) trennen sich die Aminosäuren von den kurzen Peptiden und verknüpfen sich untereinander zu einem längeren Peptid. Die eng zusammenliegenden Anti-Codons bilden den Informationsspeicher für die Sequenz des Peptids und dienen als Template für eine Proto-mRNA, die durch Anlagerung komplementärer Nukleotide entsteht und sich anschließend abtrennt.

Das vorgestellte Modell der Informationsspeicherung der Amiosäurensequenz in einer RNA erfordet eine strenge Korrelation in den Hydrophobizitäten der Aminosäuren mit den Nukleobasen. In der Tab. 1 wird beim Vergleich der Anti-Codon Belegungen mit den zugehörigen Aminosäuren deutlich, dass alle hydrothermal bildbaren hydrophoben Aminosäuren ein Adenin in der Mittelposition bzw. weitere im Randbereich besitzen (rechts). Die hydrophilen Aminosäuren haben eine entsprechend entgegengesetzte Belegung. Bereits Weber and Lacey [17] entdeckten 1978 diese auffällige Korrelation, ohne jedoch eine Erklärung hierfür anbieten zu können. Besonders deutlich wird dieses Verhältnis in der Tabelle von Jungck 1978, wenn nur die hydrothermalen Aminosäuren (farbige Felder bis auf Codons der Stop Positionen) berücksichtigt werden.

Tab. 1 linke Seite nach Jungck, J. R. (1978)[22]: In dieser Tab. werden die Verhältnisse besonders deutlich. Dargestellt sind die Verhältnisse von drei der vier Basen des jeweiligen Anti-Codons zur codierten Aminosäure in Abhängigkeit der Hodrophilizität (1. Base links ist jeweils die Wobble Position). Farblich hervorgehoben sind die Aminosäuren, die in hydrothermalen Systemen gebildet werden können (Ausnahme Rot für Stop-Positionen). Die hydrophilen Aminosäuren (Blautöne) liegen in der Ecke mit den am stärksten hydrophilen Anti-Codons. Gegenübergestellt zum Vergleich Tab. 1 (rechte Seite). Eine ausreichende Erklärung für diese eindeutigen Zusammenhänge gab es bisher nicht.



Tab. 1 rechte Seite: Die kanonischen Aminosäuren mit abnehmender Hydrophobizität nach Kyte und Doolittle [20]. Hydrothermal bildbare AS sind farblich hinterlegt. Bei den hydrophoben (hydrothermalen) Aminosäuren ist die zweite Position des Anti-Codons an der tRNA (unterstes Ende) jeweils mit dem hydrophoben Adenin (in Rot) besetzt. Die tRNAs der hydrophilen AS besitzen in dieser Position die hydrophilen Basen G, U oder C.

Die unterschiedlichen Proto-tRNAs konnten relativ spezifisch anhand der Hydrophobizität des Anticodons mit Aminosäuren verknüpft werden. Gleichzeitig ließ sich leicht die einzige Doppelbindung der tRNAs trennen, sodass ein Einzelstrang existierte. Er stellte einen Informationsstrang dar, der zu Beginn durch seine zufällige Nukleotidabfolge keine Bedeutung hatte. Da zur gleichen Zeit beladene tRNAs vorgelegen haben, konnten diese den Einzelstrang als Proto-mRNA nutzen und ein Viererpeptid bilden, sofern passende Verhältnisse vorlagen. Die meisten originalen "tRNA-Templates" konnten nicht für ein Peptid genutzt werden, da sie Plätze für Aminosäuren zur Verfügung  stellten, die noch nicht existierten. Dies war allerdings mit den komplementären Strängen möglich, die bei der Replikation (die als Voraussetzung für das Überleben der Proto-tRNAs gilt) entstehen (Abb. 13). Der CCA Abschnitt steht nach der Replikation zum Beispiel für die Aminosäure Glycin, die einzige achirale Aminosäure.  Da die Proto-tRNA homochiral (sowohl als D und als L Version) vorliegen musste, um als solche gebildet zu werden und es eine bevorzugte Verknüpfung von L Aminosäuren mit D RNAs (und umgekehrt) gibt, waren die gebildeten Peptide auch homochiral (in gleichen Mengen mit beiden Händigkeiten).  Da maximal 12 verschiede Aminosäuren mit entsprechen unterschiedlichen Proto-tRNAs vorgelegen haben konnten, standen im Höchstfall die gleiche Anzahl von unterschiedlichen Templates für Viererpeptide zur Verfügung. Die Verknüpfung von zwei Viererpeptiden mit gleiche Händigkeit ergab Längen von Membranstärke. Hiermit konnten bereits Poren gebildet werden, die für einen Stoffaustausch erforderlich sind. Da die Sequenzen der Peptide bereits gespeichert waren, kam es nur noch auf die Kombination der Viererketten an, um erste Funktionsmoleküle zu erhalten, die katalytisch wirksam waren. Trugen diese dazu bei, weitere Funktions- und andere "nützliche" Molküle schneller zu bilden, gewannen sie den Wettlauf um Ressourcen und setzten ihre Händigkeit durch.   


Betrifft dieser Prozess zum ersten Mal ein Molekül, das katalytische Funktion besitzt und das im weiteren Verlauf der Entwicklung z.B. als Kern komplexerer Peptide erhalten bleibt, kann dies als Start des Lebens angesehen werden.

Abb. 13 Proto-tRNA als Einzelstrang, der als Template fungieren kann. Das alternative Template des komplementären Strangs ergibt im Beispiel ein Tetramer, dass durch die tRNA homochiral ist.

Tab. 2  Komplementäre Gruppen von Aminosäuren, die einen Zusammenhang bei der Verwendung der Templates von Proto-tRNAs und deren komplementären Strängen zeigen können.

Erkenntnisse:

(Die Hypothese zur Entstehung des Lebens in Stichworten)


- Die Entstehung des Lebens vollzog sich dem Modell nach in der jungen kontinentalen Erdkruste in einer Tiefe von weniger als 1000 Meter, in der der Übergang von überkritischen zu unterkritischen Gasen stattfand und heute noch stattfindet.


- Aus den aufsteigenden Gasen und zersetzten Mineralen konnten unter variablen Druck- und Temperaturbedingungen der Kruste bei unbegrenzt vorhandenen Ressourcen organische Moleküle gebildet werden.


- Tonminerale aus alteriertem Krustengestein und/oder kolloidales SiO2 sowie weitere mineralischen Oberflächen katalysierten vermutlich die Bildung kurzer RNA-Stränge, von denen ein bestimmter Typ, die Proto-tRNA, das Schlüsselmolekül, selektiert wurde.

Das Schlüsselmolekül: Die Proto-tRNA


- Eine mit einer minimalen Anzahl von Nukleotiden (12) aufgebaute Proto-tRNA wird als Schlüsselmolekül für die Informationsspeicherung angesehen. Es besitzt auf der einen Seite am Akzeptorarm einen Einzelstrang mit der Basenfolge CCA, mit dem eine spezifische Aminosäure verknüpft werden kann und auf der anderen Seite eine Schleife mit dem Anticodon, das aus drei nach außen gedrehten Basen besteht. Mit Adenin (A) an der Spitze des Akzeptorarms liegt eine hydrophobe Base vor, durch die der Arm in der Lage ist, in eine Membran einzudringen. Mit der Kombination von jeweils drei der vier verwendbaren Nukleobasen werden je nach Anordnung im Triplet des Anticodons unterschiedliche Hydrophobizitäten erreicht.   


- Ein Selektionsfaktor war die Stabilität der Ketten. Die Hydrolyse wirkt der Bildung langer Ketten entgegen. Eine mittlere Länge von 12 Nukleotiden könnte sich als Optimum erwiesen haben, wenn durch eine Schleifenbindung mit der Bildung nur eines Basenpaares zusätzlich die Stabilität erhöht wurde.   


- Ein flotationsähnliches Transportsystem, das durch die aufsteigenden überkritischen Gase bedingt war, verlagerte die Moleküle in die obere Kruste, wo sie sich in der Übergangszone des Phasenwechsels in ca. 1000 m Tiefe in einer hohen Konzentration sammelten.


- Zyklische Druckschwankungen, die durch Ausbrüche von Kaltwassergeysiren gesteuert wurden (überlagert von starken Erdgezeiten), führten in der Übergangszone in den mit überkritischen Gasen und Wasser gefüllten Kavitäten zur Bildung von Vesikeln. Diese schlossen hydrophile Moleküle im Inneren und hydrophobe in der Membran ein.


- Mit den Druckschwankungen ergaben sich zyklische Temperaturschwankungen, die das Schmelzen und Kopieren doppelsträngiger RNAs ermöglichten.


 - Die erste Informationsspeicherung fand in den Vesikeln in Verbindung mit den besonderen Eigenschaften der Membranen statt.


 - Wesentlichen Anteil an der ersten Informationsspeicherung hatten die unterschiedlichen Hydrophobizitäten der Aminosäuren und der Nukleobasen.


 - Die selektierte Proto-tRNA stellte über die Eindringtiefe des Akzeptorarms in die Membran die Verbindung zu den unterschiedlichen Aminosäuren her, die sich jeweils am Anfang kurzer Peptide befanden. Hydrophobe Peptide befanden sich in der Membran, hydrophile im Wasser der Vesikel.  Ursache für die Eindringtiefe war die unterschiedliche Hydrophobizität des Anti-Codons in Abhängigkeit der Nukleobasenbesetzung.


 - Der steuernde Faktor war der entropische/hydrophobe Effekt.


 - Eine Möglichkeit für die Informationsspeicherung bestand in der Schaffung eines Templates durch eng nebeneinander liegende, in die Membran eindringende Proto-tRNAs. Die Krümmung der Vesikelmembran bot im Inneren die Voraussetzung für die Konfiguration solcher Templates, an denen sich komplementäre Nukleotide anlagern und eine Proto-mRNA bilden konnten. Die Proto-mRNA konnte, wie auch schon die Proto-tRNA, in der Folge kopiert werden. Allerdings ist einzuschränken, dass durch die Existenz beider Händigkeiten sowohl bei der RNA als auch den Aminosäuren sehr viele „unbrauchbare“ Misch-Varianten entstehen mussten.


- Eine effektivere Alternative konnte die Nutzung der Proto-tRNA als Template für die Peptid-Bildung sein. Die einzige Basenpaarung zwischen Schleife und Akzeptorarm konnte leicht getrennt werden, sodass aus der Proto-tRNA ein Einzelstrang wurde, dessen Nutzung jetzt als Proto-mRNA möglich war. Möglicherweise war die Zahl der unterschiedlichen Proto-tRNAs mit der Anzahl der hydrothermal bildbaren Aminosäurespezies identisch (12).


- Die Replikation der Proto-mRNA ergab jeweils ein weiteres Template für die Bildung einer Vierer-Peptids, mit komplementären Aminosäuren in Bezug auf die jeweilige Ausgangs Proto-tRNA.


- Die Peptide, die aus den Einzelsträngen der Proto-tRNA gebildet wurden, waren homochiral, wobei beide Händigkeiten gleich häufig gewesen sein mussten.


 - Mit der Nutzung der Proto-mRNAs war die Sequenz der vier verknüpften Aminosäuren (Tetramere) bereits festgelegt. Sie war zufällig und hing von der Nukleotidabfolge der jeweiligen Proto-tRNA ab. Aus der Kombination von verschiedenen Tetrameren (mit jeweils gleicher Händigkeit) der verschiedenen Templates konnten katalytisch wirksame Peptide oder Membranpeptide gebildet werden, die sich vorteilhaft auf die weitere Entwicklung auswirkten.


- Mit der Bildung des ersten katalytisch wirksamen Moleküls, dessen Sequenz in einer RNA gespeichert vorlag, war der Start des Lebens vollzogen. Voraussetzung für die Definition dieses Momentes als Startpunkt ist, dass die Information über die Sequenz des Peptids erhalten blieb, das Molekül hierdurch weiterhin gebildet werden konnte und einen Beitrag zur Katalyse weiterer Funktionsmoleküle lieferte.

 

- Die Druckschwankungen in der Störungszone sorgten für zyklische Freisetzungen der Moleküle in die Kavitäten durch Zerfall der Vesikel, mit der Möglichkeit der Weiterentwicklung und Wiederaufnahme in sich neu bildende Vesikel. Es gab zwischen Vesikeln und dem offenen System einen ständigen Austausch.


- Von dem Zeitpunkt an, an dem die Zellmembranen durch Poren einen Austausch mit der Umgebung zuließen und eine Vielzahl an katalytisch wirksamen Bausteine in der Proto-Zelle vorlag, sodass sie wachsen und die Bausteine vermehrt werden konnten, war eine Zellteilung durch physikalische Prozesse möglich (Scherung durch turbulenten Geysirausbruch). Dies war der Durchbruch für die Vermehrung der ersten Zellen.  


- Die Prozesse in der Kruste liefen auch nach der Bildung der ersten selbstvermehrenden Zelle parallel weiter, das heißt, es gab fortwährende Entwicklungen, die auf gleichen Abläufen aufbauend zu selbstvermehrenden Zelle führen konnten.


- Die Entwicklung des Lebens entstand somit in einem kontinuierlichen Prozess, der theoretisch bis heute anhält und der mit dem sich entwickelnden Leben ständig rückgekoppelt war, zumindest in der Frühphase. Die Frage, warum das Leben nicht mehrfach entstanden ist, stellt sich aus diesem Blickwinkel nicht.


 - Die Entstehung des Lebens durch ähnliche Prozesse ist auf anderen Planeten sehr wahrscheinlich, vermutlich mit einer nicht sehr unterschiedlichen organischen Chemie, wenn die chemische Zusammensetzung der Planeten vergleichbar ist.


 - Das Leben hat sich nicht gegen die naturgesetzmäßige Zunahme der Entropie entwickelt. Die Entropiezunahme war der steuernde Faktor der Entwicklung.

 

Und die Chiralität?

Die Entwicklung der chemischen Evolution zu D-Ribose in der RNA und L-Aminosäuren in den Peptiden könnte möglicherweise durch einen zufälligen Überhang eines Enantiomers zu einem bestimmten Zeitpunkt erklärt werden, was aber schwer nachzuvollziehen ist. Grundsätzlich existieren immer gleiche Mengen an Molekülen in der D- und L-Version, sodass alle Reaktionsschritte der Anfangsphase auch mit beiden erfolgt sein müssen. Allerdings nur bis zu dem Zeitpunkt, an dem das erste katalytisch wirkende Peptid entstand, das in der RNA gespeichert war und die weitere Entwicklung maßgeblich prägte (Start des Lebens).

Es sorgte dafür, dass durch die schnellere Bildung von Nachfolgemolekülen die Ressourcen stärker in dieser Gruppe (der heutigen D-Ribose und L-Aminosäuren) verbraucht wurden [18, 19]. Dass zu genau der gleichen Zeit ein derartiges Peptid sowohl in der D- als auch in der L-Version entstand, ist nahezu ausgeschlossen.




Wie ging es weiter?  -  Die nächsten Schritte

Die Geysir-Eruptionen beförderten kontinuierlich organische Moleküle und schließlich die ersten selbstvermehrenden Zellen an die Erdoberfläche. Im Umfeld der Austrittsstellen müssen sich folglich „Bio-Filme“ aus organischen Materialien gebildet haben, in die auch die ersten Zellen eingebettet wurden. Sie hatten allerdings unter den neuen Umweltbedingungen kaum Überlebenschancen. UV-Strahlung, Sonnenwind, niedrigere Temperaturen und höhere pH-Werte erforderten eine Anpassung, die einen längeren Zeitraum benötigte. Durch rücklaufendes Wasser in die Störungszonen gelangten die angepassten Moleküle und ersten Zellen wieder in den Tiefenprozess der Kruste. 


Darüber hinaus war die Energie- und Stoffzufuhr schwierig. Der Biofilm im Umfeld des Geysirs bot aber vermutlich die Voraussetzung, dass die Zellen Stoffe von außen aufnehmen konnten. Früher oder später können klimatische oder regionale Bedingungen dafür gesorgt haben, dass ein Überleben der Zellen auf der Erdoberfläche möglich wurde, sodass sie über Fließgewässer in die Ozeane gelangen konnten. Eine alternative Situation ist für küstennahe Standorte denkbar, deren offene Störungssysteme direkt in den marinen Raum überleiteten. Der Eintritt in den Ozean war der entscheidende Schritt, der den Siegeszug des Systems Leben in Bewegung setzte. Im Ozean trafen die Zellen auf die Gebiete, die ihnen von den physikochemischen Verhältnissen vertraut waren. Es waren die Black Smoker und andere hydrothermale Quellen, die ihnen unbegrenzte, nutzbare Energieressourcen bereitstellten. Gleichzeitig bot dieses Umfeld erneut Schutz vor zerstörerischen Einflüssen, die an der Erdoberfläche vorhanden waren.


Die Inbesitznahme der submarinen hydrothermalen Quellen durch die ersten prokariotischen Zellen führte, zeitlich komprimiert betrachtet, vermutlich zu einer explosionsartigen Ausbreitung der ersten Lebensform. Der offene Ozean bot mit Meeresströmungen und ausreichend vielen heißen Quellen hierfür ideale Bedingungen. Große Distanzen und lokale Besonderheiten konnten zu eigenständigen Anpassungen in der jungen Familie der Zellen führen, die somit schnell diversifizierten. In dieser Phase lag das Ausklingen der heftigen Meteoriteneinschläge, die überwiegend die Ozeane betrafen. Mit jedem größeren Einschlag wurden weite Bereiche der jungen Kontinente überflutet. Dies war der Weg, auf dem sich die Prokaryoten über alle großen und kleinen Krustenfragmente ausbreiten konnten. Überall dort, wo Kontakt zu hydrothermalen Quellen an Land bestand, konnten sie Fuß fassen und sich weiterentwickeln. In diesem Zusammenhang ist eine weitere Entwicklung auf der jungen Erde von Bedeutung. Schon früh setzte die Bewegung von Platten ein, die letztlich zur Verlagerung der Kontinente und zu nachfolgenden Kollisionen führte. Welchen Einfluss hatte dieser Prozess auf die weitere Entwicklung der Prokarionten?


Inzwischen gilt es als gesichert, dass Organellen wie die Mitochondrien und Chloroplasten der Eukaryoten von Bakterien abstammen.  Es besteht die Vorstellung, dass Bakterien von Archaeen aufgenommen wurden, aber nicht verdaut werden konnten. Im Gegenteil, die aufgenommenen Bakterien lebten in der Zellhülle des Wirtes weiter und nutzten deren Stoffwechselprodukte für die eigene Versorgung. Es entwickelte sich eine Endosymbiose, bei der der eine Partner in dem Körper des anderen dauerhaft lebt, wie die Bakterien im Darm. Die evolutive Anpassung führte dazu, dass die „unverdauten“ Bakterien nach und nach zu nützlichen Bausteinen reduziert wurden, die heute für die Energieversorgung der Zelle einen entscheidenden Beitrag leisten.


Die Eukarioten traten vor 1,5 Milliarden Jahren fast spontan auf der Bühne des Lebens auf. Vorfahren, die als Übergangsstadien angesehen werden könnten, sind bisher nicht eindeutig identifiziert. 500 Millionen Jahre vorher begannen fast alle bestehenden Kleinkontinente aufeinander zuzuwandern, bis sich 300 Millionen Jahre später ein Superkontinent gebildet hatte. Er wird von den Geologen als Columbia bezeichnet. Sein Bestehen reichte über weitere 200 – 300 Millionen Jahre, wobei die letzten 100 Millionen Jahre bereits vom Zerfall und plattentektonisch bedingten Gebirgsbildungsprozessen geprägt waren. In der Endphase von Columbia traten schließlich die Eukarioten auf. Bereits eine Milliarde Jahre vorher begann die Sauerstoffkonzentration in der Atmosphäre langsam zuzunehmen, auf den die Lebewelt reagieren musste.


Abb. 14  Zeitstrahl der Erdgeschichte - Alter der Eukaryoten nach Bengtson et al. 2017 [21]


Angenommen auf allen weit auseinanderliegenden Kleinkontinenten hatten sich über mehr als eine Milliarden Jahre endemische Bakterienstämme entwickelt, die ab einem bestimmten Zeitpunkt innerhalb von Millionen Jahren nach und nach in einem Großkontinent zusammengeführt wurden. Jedes Mal, wenn ein neuer Kleinkontinent an dem großen Komplex anlandete, standen sich „plötzlich“ unterschiedlich stark spezialisierte Archaeen und Bakterien gegenüber. Die Anzahl der Individuen und der Zeitraum waren groß genug, dass alle Variationen des Zusammenlebens ausprobiert werden konnten. Es ist denkbar, dass dieser Prozess zur Entwicklung der Endosymbionten führte, vielleicht durch nachfolgend auftreffende Kleinkontinente sogar mehrfach, wie es bei einigen Organellen der Zellen (Plastiden der Braun-, Gold- und Kieselalgen) heute beobachtet werden kann. Wenn hierzu parallel die Anpassung an die größer werdenden Sauerstoffkonzentrationen in der Atmosphäre und dem Ozeanwasser verlief, könnte alles zusammen genommen am Ende von Columbia den
Start der Eukarioten erklären.


Aus diesem hypothetischen Scenario lassen sich gleich einige Fragen anschließen. Gibt es heute in der DNA der Bakterien und Archaeen noch Relikte, die auf die Zeit der endemischen Entwicklung hinweisen? Lassen sich vielleicht Provinzen auf den Kontinenten finden, die alten Kontinentkernen entsprechen und wo derartige Bakterien und Archaeen vorkommen, vielleicht in der tiefen Biosphäre?





Literatur

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Der Fund von Wasser auf extraterrestrischen Planeten ist ein genauso valider Hinweis darauf, dass es dort Bier geben könnte, wie der von Leben. 

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